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Hand in Hand für eine besser gebaute Welt: Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen im Bauprozess sind auf das Tragwerk zurückzuführen. Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Forderung nach Nachhaltigkeit?

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Nemetschek Group

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Hand in Hand für eine besser gebaute Welt: Digitalisierung und Nachhaltigkeit

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Auf dem Weg zur Erreichung der ambitionierten Klimaziele werden Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit die Zukunft des Bauens maßgeblich prägen, denn die Bauindustrie ist für rund 39% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen im Bauprozess entfallen auf das Tragwerk. Aber welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Forderung nach mehr Nachhaltigkeit? Welchen Beitrag kann bereits die Planungsphase leisten? Und warum wird in Zukunft kein Weg an OPEN BIM vorbeiführen? Markus Gallenberger, Geschäftsführer der Nemetschek Marken FRILO und SCIA im Gespräch mit Ines Prokop, Geschäftsführerin des deutschen Bundesverband Bausoftware (BVBS).

Markus Gallenberger: Frau Prokop, ich freue mich, heute mit Ihnen zu diskutieren. Der Bausektor war im Jahr 2021 für circa 39% der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Das ist eine ganze Menge. Mit welchen Strategien kann es der Branche gelingen, die Auswirkungen von Baumaßnahmen auf das Klima und eben auch auf die Umwelt zu reduzieren?

Ines Prokop: Wir müssen im Grunde einen kompletten Paradigmenwechsel vollziehen, damit die Klimaziele erreicht werden. Dies ist eine enorme Herausforderung für die Baubranche und diese können wir nur mit digitalen Methoden bewerkstelligen. Zum einen geht es um den anderen oder besseren Umgang mit dem Bestand. Das heißt, wir müssen alles daran setzen die Bauwerke, die wir bereits erbaut haben, so lange wie möglich zu erhalten und zu nutzen – denn dort ist enorm viel CO2 gebunden. Mit digitalen Methoden können wir den Bestand effizient erfassen, analysieren und entsprechend auch bewerten, um ihn für die nächste Generation fit zu machen, um den Bestand an veränderte Nutzungsanforderungen und veränderte Lasten anzupassen. Zum anderen brauchen wir die digitalen Methoden, um beim Neubau deutlich weniger CO2 freizusetzen, als wir das in der Vergangenheit gemacht haben.

Markus Gallenberger: Und da kommen Softwareanbieter wie die Nemetschek Group ins Spiel. Ein konkretes Konzept ist Building Lifecycle Management, das heißt die zentrale Erfassung aller Daten eines Projektes. Dadurch werden Gebäude zu vernetzten Ökosystemen, die eine lückenlose und fehlerfreie Nachverfolgung der kompletten Prozesse ermöglichen. Es entsteht ein digitaler Zwilling von einem Gebäude, der zu jeder Lebenszyklusphase des Gebäudes entsprechend mitwächst, sich anpasst und auf den man die Zukunft projizieren kann. Hierfür ist die Digitalisierung ein großer Treiber – und bietet entsprechenden Mehrwert.

Ines Prokop: Das stimmt. Hinzu kommt, dass wir die Informationen, die große Menge an Daten und die nutzbaren Informationen aus dem digitalen Zwilling, später bis hin zum Eigentümer, zum Facility Management, auch wirklich sinnvoll nutzen können. Es geht also nicht nur um Datenmengen, sondern auch um Informationen, um die Bauwerke besser zu nutzen. Als Bundesverband Bausoftware haben wir uns die Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der Bauwirtschaft durch den Einsatz von Bausoftware und Informationstechnologie zum Ziel gesetzt - bereits vor 30 Jahren.

Die Mitglieder des Bundesverbandes Bausoftware schaffen Lösungen für die gesamte Wertschöpfungskette. Die Digitalisierung ist zum Beispiel seit vielen Jahren ein maßgeblicher Teil bei der Zertifizierung für Software. Wir konnten feststellen, dass wir durch die Zertifizierung eine enorme Qualitätssteigerung erreichen konnten. Wir sind in verschiedenen Bereichen aktiv: Zertifizierung, Qualitätssicherung und Standardisierung. Durch diese verschiedenen Punkte wollen wir als BVBS zur Verbesserung und zur schnelleren Digitalisierung der Baubranche beitragen.

Markus Gallenberger: Dabei muss aber immer der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet werden: Die Planungsphase legt den Grundstein des Gebäudes. Von Beginn an – also ab der ersten Vision des Gebäudes –kann darauf eingegangen werden, welche Materialien verwendet werden sollen, welcher Bedarf nötig ist – und was mit dem Gebäude geschehen soll. Man kann etwaige Änderungen miteinbeziehen. Das heißt, aus ökologischer und ökonomischer Sicht ist die Planungsphase die Grundlage für alles weitere.

Ines Prokop: Das Tolle ist ja, dass durch digitale Methoden schon in der ganz frühen Planungsphase, also in der in der Vorplanung, in der Entwurfsphase untersucht werden kann, was ideale Lösungen sein können, um beispielsweise die Gebäudestrukturen nochmal zu optimieren, um den Materialeinsatz zu optimieren. Digitale Methoden ermöglichen, gerade auch hinsichtlich des Klimaschutzes, die Durchführung einer CO2-Analyse. Und zwar auch schon in sehr frühen Entwurfsstadien. So kann gecheckt werden, welches Material, an welcher Stelle wirklich am sinnvollsten ist, um Ressourcen zu sparen und welche Materialien den niedrigsten CO2-Fußabdruck erbringen. Das war mit händischen Methoden früher gar nicht leistbar. Mit einer modellbasierten Planung ist das hingegen bereits in einem frühen Stadium möglich.

Markus Gallenberger: Effizienz ist hierbei die größte Chance und gleichzeitig auch die größte Herausforderung, schließlich müssen immer mehr Akteure eingebunden werden.

Ines Prokop: Damit kommen wir wieder auf den digitalen Zwilling. Ziel ist es ja, ein digitales Abbild des Bauwerks von Anfang an, Schritt für Schritt, zu entwickeln. Die digitalen Methoden, einschließlich BIM, ermöglichen hierbei sehr viel mehr Transparenz als das vorher mit zwei bis drei Entwurfszeichnungen und auf Plänen auf Papier möglich war. Der frühzeitige Austausch zwischen beispielsweise Tragwerksplanung und Entwurfsplanung ist durch digitale Methoden deutlich besser möglich, als das früher der Fall war. Seit langem hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Planungsbeteiligten frühzeitig und eng miteinander zusammenarbeiten müssen. Das war mit Papierpausen und auch PDFs sehr mühselig. Wo früher Emails versendet wurden, haben jetzt über eine gemeinsame Datenumgebung, ein common data environment (CDE), d.h. über Projektplattformen die Möglichkeit, alle Beteiligten Zugriff auf die Modelle. Dies ermöglicht eine stärkere Transparenz und einen besseren Informationsfluss. Plus: Der Informationsaustausch ist viel einfacher, als mit zweidimensionalen PDFs, denn man kann auch Änderungen viel besser entwickeln und sich dazu abstimmen.

Markus Gallenberger: Genau, früher war das Thema „Zeichnung“ noch viel wichtiger bei den Statiklösungen, als es heute ist. Heute müssen Planungen verlustfrei, mit hohem Qualitätsstandard erfolgen. Genau dort ist die Prämisse „mehr Digitalisierung“ relevant. Auch auf Seiten der Kunden nimmt die Forderung nach mehr Digitalisierung durch gestiegene Anforderungen zu: Der zunehmende Zeitdruck, bessere oder kürzere Projektlaufzeiten bringen viele Änderungen mit sich – und benötigen mehr Absprachen. Dafür braucht es belastbare, digitale Lösungen.

Ines Prokop: Nochmal zum Beispiel Tragwerksplanung: Bei einem massiv errichteten Bauwerk entfallen über 50 Prozent der CO2 Emissionen auf das Tragwerk, d.h. mehr als die Hälfte des CO2-Ausstoßes, der insgesamt durch den Bauprozess entsteht. Dort gibt es ein enormes Potenzial zur Einsparung. Wenn die Tragwerksbemessung so optimiert wie möglich gestaltet wird, können, wie vorhin angedeutet, Variantenstudien durchgeführt, und damit der CO2-Ausstoß reduziert werden. Zudem müssen auch die materiellen und monetären Ressourcen bedacht werden. Dort ist softwaregestützte Tragwerksplanung unabdingbar, um die optimale Lösung zu finden, um den goldenen Schnitt zwischen Materialeffizienz, dem Bauprozess und der Nachhaltigkeit zu finden. Schaut man sich die Bauwerke des 19. Jahrhunderts beispielsweise genauer an: Damals waren Baumaterialien wie Eisen und Stahl extrem teuer. Die Tragwerksplanenden wussten ganz genau, für welche Bauteile, welche Materialien am sinnvollsten einzusetzen sind. Historische Dachtragwerke zum Beispiel, Deckenkonstruktionen, aus dieser Zeit sind im Materialeinsatz extrem optimiert. In den vergangenen Jahren lag der Fokus nur auf Schnelligkeit – nicht mehr auf Effizienz, was dazu führte, dass der Materialeinsatz nicht optimiert wurde.

Die derzeitigen Herausforderungen, Materialknappheit und hohe Rohstoffpreise, aber auch die zukünftigen Anforderungen hinsichtlich mehr Nachhaltigkeit und weniger Verschwendung, denen sich die Baubranche stellen muss, können nur mit mehr Digitalisierung gelöst werden. Es geht nicht mehr nur darum, möglichst schnell zu bauen – sondern das Bauen anders, neu zu denken: digitaler, effizienter und nachhaltiger. Nur so kann der Brückenschlag zwischen dem Fortbestand der Branche und dem Erreichen der Klimaziele gelingen.

 

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